Friedensgebet und Kundgebung vor St. Marien - OB kritisiert Wahrnehmung des Ostens

Im Zuge der deutschen Einheit waren es Garbsener Bürgerinnen und Bürger - an der Spitze Bürgermeister Galler und der spätere Bundestagsabgeordneten Büttner - die den Schönebeckern beim Aufbau einer kommunalen Selbstverwaltung tatkräftig unter die Arme gegriffen hatten. Dies würdigte auch Oberbürgermeister Haase am Montag noch einmal ausdrücklich. Zuvor sagte er unter anderem: "Ich meine, es war nur in zweiter Linie die große Politik mit dem verehrten Michail Gorbatschow an der Spitze, die damals eine wahrhaft neue Zeit anbrechen ließen. In erster Linie waren es die Menschen, die mutig und entschlossen auf die Straße gingen, um gegen die damaligen Verhältnisse zu protestieren. Viele Tausende Schönebecker gehörten dazu. An der Spitze dieser Bürgerinnen und Bürger standen in jenen Monaten drei Pfarrer. Es waren dies Ulrich Lieb, Günther Schlegel und der leider schon verstorbene Hans Gottschalk. Ihnen dreien möchte ich stellvertretend für alle Demonstranten heute noch einmal Dank sagen für Pionierleistungen, wie sie die Geschichte wohl nur einmal zu vollbringen erlaubt. Viele Menschen haben mit den friedlichen Demonstrationen zum einzigartigen Erfolg in der deutschen Geschichte beigetragen. Wir dürfen heute aber ebenso dankbar dafür sein, dass diese Herbstereignisse des Jahres 1989 im Wesentlichen unblutig geschahen. Welch eine Einzigartigkeit? Noch heute durchzieht uns ein seltsamer Schauer der Nachdenklichkeit, der Besinnung, der tiefen Dankbarkeit, wenn wir diese unglaubliche Unblutigkeit vergegenwärtigen. Diese Einzigartigkeit des Geschehens macht die Ereignisse von 1989 um so denkwürdiger. Und dies ist nicht zuletzt auch ein wesentlicher Teil des Vermächtnisses, welches wir Ostdeutschen in die Einheit Deutschlands eingebracht haben. Aber nichtsdestoweniger wissen unsere Bürger und Bürgerinnen nicht erst seit heute, dass auch die jetzige Form der Demokratie nicht die absolut fehlerlose und ideale Gesellschaftsordnung darstellt. Viele Menschen haben diese Unvollkommenheit bereits am eigenen Leibe erfahren müssen. Wir leben in der Zeit einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, und die offenbarte Maßlosigkeit und Gier stehen im krassen Widerspruch zu gesellschaftlichen Tugenden wie Solidarität und soziale Gerechtigkeit. Wer sich an die Demonstrationen von 1989 erinnert, der weiß, dass der Ruf von den Straßen und Plätzen zunächst lautete: ?Wir sind das Volk!?, bevor er dann in das allseits verbreitete  ?Wir sind ein Volk? mündete. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Die deutsche Einheit war und bleibt ein großes Glück, aber der alte Spruch ?Wir sind das Volk? sollte auch heute nicht in Vergessenheit geraten. In der heutigen Geschichtsschreibung durch die großen Medienkonzerne kommt mir die ursprüngliche Kraft der ersten Stunde im ostdeutschen Herbst des Jahres 1989 noch lange vor der deutschen Einheit ein wenig zu kurz. Aber nichtsdestoweniger wurde im Herbst vor 20 Jahren eben doch eine Diktatur überwunden, ein Regime mit teils verbrecherischem Charakter: Wenn wir ehrlich sind, dann war das zweite D der DDR eben doch ein sehr verlogenes D. Winston Churchill war es schließlich, der einmal augenzwinkernd feststellte: ?Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen ? ausgenommen alle anderen.? Diesem legendären Zitat darf ich an dieser Stelle gleich noch eine Definition des Begriffes Freiheit von Jean-Jacques Rousseau anfügen, die ebenfalls noch heute zu denken gibt: ?Freiheit ist nicht, tun und lassen zu können, was man will, sondern nicht tun und lassen zu müssen, was andere wollen.? Diese differenzierte Freiheit haben unsere Bürgerinnen und Bürger 1989 erkämpft. Wir betrachten sie noch heute als großes Geschenk der Geschichte und wir erinnern uns an die erste Stunde. Lassen Sie uns den Herbst des Jahres 1989 und die ihn verkörpernden Wertvorstellungen nicht vergessen und dennoch zuversichtlich nach vorn schauen. Lassen wir nicht nach, auch die Demokratie zu pflegen, zu gestalten und ? wo nötig, auch noch zu verbessern.