Werke von Werner Tübke ab sofort im iMUSEt zu sehen

„Sehr geehrte Gäste, zur Kunstausstellung anlässlich des 90. Geburtstages von Werner Tübke, die ab morgen öffentlich zugänglich sein wird, möchte ich Sie herzlich hier im Industrie- und Kunstmuseum Schönebeck, hier im IMUSET, begrüßen.

Ich denke, wir können ohne Übertreibung sagen: Das ist ein großes kulturelles Ereignis für unsere Stadt und unsere Region. Mehr noch: es ist ein Kunstereignis von Rang, welches weit über unsere Stadtgrenzen hinaus Ausstrahlung finden möge.

Denn mit dieser Ausstellung ehren und würdigen wir einen großen Sohn der Stadt Schönebeck (Elbe) und mit ihm gleichzeitig einen der bedeutendsten Kunstmaler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland.

Dr. Georg Plenikowski, Dr. Hans-Günther Zick sowie all die anderen fleißigen und ehrenamtlichen Helfer und Vereinsmitlieder des IMUSET haben im schwierigen Gefüge des deutschen Kunstbetriebes einen bemerkenswerten Kraftakt vollzogen.

Sie alle haben keinerlei Mühen gescheut und alle Hebel in Gang gesetzt, um diese Ausstellung zu bewerkstelligen und zu realisieren.

Bevor ich auf den Maler selbst etwas näher eingehe, möchte ich deshalb allen Machern, die Werner Tübke gewissermaßenen für ein paar Wochen hier an die Elbe zurückkehren lassen haben, ein ganz herzliches Dankeschön sagen!

Dieser Dank gilt ebenso an Werner Tübkes Gattin Brigitte, an die Tübke-Stiftung Leipzig und an die Galerie Schwind in Leipzig, ohne sie alle diese Exposition nicht möglich gewesen wäre.

Denn unser Industrie- und Kunstmuseum zeigt nun eine exklusive Ausstellung mit Originalwerken des großen Künstlers, der am 30. Juli 1929 in Schönebeck an der Elbe geboren worden war, in einem Haus am Markt schräg gegenüber dem Rathaus aufwuchs und dort seine ersten Schritte auf dem Wege seiner künstlerischen Laufbahn ging.

Das Museum und damit auch die Vaterstadt Tübkes möchten dem großen Sohn von Schönebeck (Elbe), der am 27. Mai 2004 verstorben war, mit der Ausstellung einerseits eine abermalige Würdigung erfahren lassen.

Andererseits  soll damit ein einheimisches, aber auch ein interessiertes überregionales Publikum für die herausragende Kunst Tübkes sensibilisiert und gewonnen werden.

Aber wer war Werner Tübke? Er war als Sohn einer Kaufmannsfamilie hier geboren worden und wuchs im Haus Markt 13 gegenüber dem Rathaus auf. Er besuchte hier die Volksschule und ab 1939 das örtliche Realgymnasium. Bereits ab 1940 erhielt er privaten Zeichenunterricht in Magdeburg bei dem Maler Karl Friedrich.

Den Zweiten Weltkrieg erlebte er als Heranwachsender, das Kriegsende eher unspektakulär. Während des Einmarsches der Amerikaner im April 1945 versuchte er sich im väterlichen Garten zunächst an detailgetreuen Pflanzenaquarellen.

Schon in jungen Jahren hatte er eine Fähigkeit für das künstlerische Sehen und Darstellen entwickelt, welches weit über das bloße Wahrnehmen und Wiedergeben hinausgeht. Er hielt dabei zum Beispiel das Marktgeschehen Schönebecks im Bilde fest und ging mit seinem Zeichenblock auch hinaus in die Natur, sehr gern in die nahen Elbauen. 

Der junge Mann war mit einem weit überdurchschnittlichen Talent und einer grundlegenden Interessiertheit an der visuellen Darstellung und Bildenden Kunst insgesamt ausgestattet. Schon früh war er zudem fasziniert von den Alten Meistern, von der Kunstgeschichte überhaupt.

Mit dieser Ausrichtung eignete er sich zunehmend auch die entsprechenden Maltechniken an, das Handwerkliche eben: den Umgang mit Pinsel, Leinwand und Farbe, mit Licht und Schatten, mit Bildkomposition, mit Perspektive und mit der Motivwahl. Aber das Schwelgen in Farben, Formen und Motiven erfuhr sodann eine jähe Unterbrechung.

Denn zu einer einschneidenden Erfahrung in jener Zeit wurde seine mehrmonatige Inhaftierung von Dezember 1945 bis September 1946 durch die Sowjetische Besatzungsmacht in Magdeburg.

Tübke wurde zu Unrecht verdächtigt, einen Mordanschlag auf einen sowjetischen Soldaten verübt zu haben. Konnten solche Verhaftungen in jener Zeit schnell auch sehr tragisch enden, wurde seine Unschuld schließlich glücklicherweise anerkannt und er kam wieder frei.

Nach einer Malerlehre, dem Besuch der Handwerksmeisterschule in Magdeburg sowie der Nachholung des Abiturs 1946/47 studierte Werner Tübke von 1948 bis 1950 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Hier reifte er zu einem Kunstmaler von Rang. Besonderen Einfluss übte dabei die Schönebecker Malerin Katharina Heise auf ihn aus.

Es folgten verschiedene Tätigkeiten an Hochschulen und Instituten in der damaligen DDR, bevor er wieder an die Leipziger Hochschule ging, dort Oberassistent war und aus kulturpolitischen Gründen auch einmal entlassen wurde.

Dies zeigt, dass Tübke keineswegs ein angepasster „Hofmaler“ des sozialistischen Realismus war, wenn er auch hin und wieder gewisse Auftragswerke wie die bildliche Darstellung der Arbeiterklasse annahm.

Die Leipziger Hochschule nahm ihn später abermals auf, er wurde Dozent und im Jahre 1972 schließlich zum Professor ernannt. Als Hochschullehrer prägte er viele später sehr angesehene Maler wie etwa Arno Rink, Wolfgang Peuker oder Ulrich Hachulla.

Mehrere Auslandsreisen wie in den Kaukasus oder nach Italien bereicherten indessen das Schaffen von Werner Tübke selbst. Das große Gemälde mit der marionettenhaften Darstellung eines sizilianischen Großgrundbesitzers ist vielen Besuchern der DDR-Kunstausstellung in Dresden sicher noch in lebendiger Erinnerung.

Werner Tübke sollte schließlich in der Messestadt neben Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig zum Mitbegründer der angesehenen „Leipziger Schule“ als eigener Kunstrichtung werden.

Diese ist eine Strömung der modernen Malerei der 70-er und 80-er Jahre. Neben einer freien und expressiven Richtung gab es hier den anderen Flügel einer formstrengeren, historisch angelehnten Wirklichkeitsauffassung. Zu ihr gehörte Werner Tübke.

Nicht unerwähnt soll hier bleiben, dass auch der zu weltweitem Ruhm gelangte Aschersleber Künstler Neo Rauch gewissermaßen ein spätes Kind der sogenannten Leipziger Schule ist.

Werner Tübke indessen als herausragender Vertreter dieser „Leipziger Schule“ orientierte sich seinerzeit nicht zuletzt an den alten Meistern der Renaissance. So gehörten Lucas Cranach und Albrecht Dürer zu seinen deutschen Vorbildern.

Aber er war auch vom Manierismus El Grecos und vom Symbolismus nicht unbeeinflusst. Das eigentliche Markenzeichen von Tübkes Arbeiten war jedoch seine schier artistische, hochkultivierte Malweise. Mit ihr gelang es ihm, zu einer ganz eigenen, mitunter von Allegorien und Metaphern geprägten Bildsprache zu finden, die international Beachtung und Anerkennung fand.

So errang er schon zu DDR-Zeiten zum Beispiel auch eine Goldmedaille auf der Grafikbiennale in Florenz. Tübke war auch Teilnehmer der Kasseler „Documenta“, und er fand prominente Bewunderer wie den am Bodensee lebenden Schriftsteller Martin Walser.

Das Hauptwerk Werner Tübkes, Sie wissen es wohl alle, ist das Monumentalgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, auch Bauernkriegspanorama genannt und mit 14 x 123 Metern eines der größten Ölgemälde innerhalb eines Gebäudes in der Welt.

Es hängt als Rundbild im Panoramamuseum Bad Frankenhausen. Ein Werk für die Ewigkeit. Viele Menschen, die es einmal in Augenschein nahmen, fahren wiederholt dorthin. Neben Luther, Müntzer und Dürer ist unter den 3000 Figuren übrigens auch Melanchthon zu sehen, von dem unser Schönebecker Stadtarchiv eine originale Handschrift besitzt. Ob das Tübke wohl wusste?

Der Meister stand für das gewaltige Bild täglich zehn Stunden auf den Gerüsten, wie einst Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom, möchte man fast sagen. Aber es handelt sich bei diesem gigantischen Ölbild, an dem er gemeinsam mit von ihm angewiesenen Kunststudenten wie Matthias Steier 11 Jahre lang arbeitete, nicht nur um ein räumlich großes Werk.

Nein, es ist eben auch künstlerisch groß. Es ist bezogen auf die Dimension seines Anspruches groß, ja großartig. Man kann von einer Größe um des Inhaltes wegen sprechen.

Hatten manche Kulturpolitiker der DDR ein plakativ propagandistisches Werk rund um den Bauernkrieg erwartet, setzte Tübke dem ein nachhaltiges, eigenwilliges, kritisches sowie religiös, kulturhistorisch und philosophisch tiefsinniges Gemälde in höchster technischer Meisterschaft entgegen.

Manche Kultur- und Parteibonzen bekamen wahrscheinlich Schnappatmung, aber der Künstler setzte sich mit dem Entwurf, den selbst Honecker in der 1:10-Fassung – also ein mal zehn Meter groß - in Dresden staunend beäugte, schließlich durch.

Der Nähe zum System der DDR hat Tübke, ohne ihr zwar vollends zu entsagen, doch aber selbstbewusst, einigermaßen kauzig und eigensinnig entgegengewirkt: Er hat sich einfach sehr weit "nach hinten" umgewandt, was man mit einiger Sympathie auch als Abwenden interpretieren könnte.

In seinen Bildern hat Werner Tübke die große Geschichte und gleichzeitig auch sich selbst reflektiert.

Wie der führende Kunsthistoriker Eduard Beaucamp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb, handele es sich beim Bauernkriegsbild um einen atemberaubenden und „historisch-philosophischen Bilderreigen für eine ganze Epoche“, um eine großartige „Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen“, um ein „apokalyptisches Welttheater“.

Tübke selbst passe mit seiner „beispiellosen Extravaganz“ demnach „nicht in die Kunstschubladen“. So verorten Kunstkritiker ihn auch nicht, wie beschrieben, im „sozialistischen Realismus“, sondern in einem magisch-historisierenden Realismus mit surrealen Zügen und manieristischer Verzerrung.

Im Privatleben war der Maler Werner Tübke seit 1976 mit der Rechtsanwältin Brigitte Tübke-Schellenberger verheiratet. Er hatte drei Kinder, darunter die Malerin Claudia Tübke aus erster und den Fotografen Albrecht Tübke aus zweiter Ehe. Der Künstler lebte und arbeite in Leipzig in der Nähe des Zoos. Dort hatte er auch sein Atelier.

Seine letzten Lebensjahre waren allerdings  von einem leidensvollen Schicksal geprägt, nach mehreren Operationen musste ihm schließlich ein Bein amputiert werden. Er hat sein Los mit beständiger Arbeit und unbändigem Leistungswillen bewältigt, wie der Autor Dr. Günther Meißner es beschreibt.

Sein Gesamtwerk mit insgesamt 400 Gemälden, 6000 Zeichnungen und 530 Aquarellen stiftete der Meister testamentarisch dem Germanischen Nationalmuseum. Heute sind viele seiner brillanten Werke in der Tübke-Stiftung Leipzig, in der Galerie Schwind und in vielen Kunst-Museen zu sehen.

Die heutige Ausstellung kann selbstverständlich nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtwerkes zeigen, dafür aber handelt es sich um einen sehr aussagekräftigen, interessanten Ausschnitt. Und man kann den Machern der Ausstellung nur dankbar für dieses Zustandekommen abseits der großen Weltmuseen sein.

Zu Lebzeiten hatte Werner Tübke zu seiner Heimatstadt Schönebeck ein eher distanziertes Verhältnis. Erst spät, einige Jahre nach der friedlichen Revolution, hat er sie gemeinsam mit seiner Gattin wieder besucht. So war er auch Zeuge, als eine kleine Erinnerungstafel an seinem Geburtshaus am Markt 13 angebracht wurde.

Man konnte diesen Besuch, den der damalige Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase initiierte und begleitete, auch als kleine Versöhnung des Künstlers mit seiner Heimat verstehen. Wir alle sollten darüber froh sein, dass er damals wieder in die Stadt seiner Kindheit und Jugend zurückgekehrt war.

Heute sind Werke des Schönebeckers und Leipzigers wie bereits angedeutet, neben Leipzig auch in St. Petersburg, Wien, Peking, Köln, Dresden, Berlin, Potsdam sowie in weiteren renommierten Kunstmuseen zu sehen.

Und eines seiner Selbstporträts, welches wir hier und heute sehen – viele Anwesende werden es wissen – hängt normalerweise in der dauerhaften und überhaupt sehenswerten Kunstausstellung des IMUSET. Diese Leihgabe haben wir unserem verehrten Künstler Eberhard Frank zu verdanken, der ebenfalls vor wenigen Jahren verstorben war.

Wenn unser Industrie- und Kunstmuseum auch nicht ganz mit den Dimensionen des Großpanoramas von Frankenhausen konkurrieren kann, so finden sich in der ständigen Kunstausstellung in der Ernst-Thälmann-Straße 5a jedoch zahlreiche weitere echte Hingucker einheimischer Künstler von Rang.

Darunter – Sie wissen es - sind Werke des kriegsblinden Keramikers und Bildhauers Dario Malkowski oder des Glas- und Metallgestalters Christof Grüger.

Der große deutsche Künstler Werner Tübke aber, der bald 90 Jahre alt geworden wäre, soll hier und heute aber einen, seinen „großen Auftritt“ in seiner Geburtsstadt bekommen. Ich danke nochmals allen, die dazu beigetragen haben.

Ich kann hier nur unterstreichen: Die Stadt Schönebeck (Elbe) wird Werner Tübke, ihrem großen Sohn, immer verbunden bleiben, ihn ehren und ihn schätzen.

Ich wünsche der Ausstellung nun viele viele Besucher und Ihnen, liebe Gäste, Freude, Erbauung, Kunstgenuss und Erkenntnisgewinn.“