Piranha: Hörst du das Weinen von Auschwitz?

etwa 5 bis 6 Millionen Jüdinnen und Juden ? von Kindern, Frauen und Männern ? sowie vieler weiterer Opfer. Scheu, Verdrängen, Gleichgültigkeit und falscher Stolz schieben dies beiseite. Meiers Fotos,  begleitet durch für viele ungekannte Detailinformationen, lassen jedoch eine Ahnung dessen entstehen, was seinerzeit dort wirklich passierte. Selbst Zeitzeugen, die jene Entmenschlichung wie durch ein Wunder überlebten, kostet es ungeheure Kraft und eine schier unangemessene Versachlichung, sich diese zu vergegenwärtigen und Aussagen zu treffen. Jedoch zeigen diese Fotografien Details, die wir wissen müssen, auch wenn sie uns zunächst erstarren lassen. Da sind zum Beispiel die Berge von Schuhen, welche die Opfer ebenso wie die gesamte Kleidung vor dem letzten Gang in die Gaskammern ausziehen mussten. Wem gehörten die noch "gestern" schicken roten Damenschuhe? Da ist der unter Strom gesetzte, fast 12 Kilometer lange Stacheldrahtzaun, da sind die Gemeinschaftslatrinen mit über 60, nur ein paar Zentimeter voneinander entfernten Löchern und da ist dieses auf den Kopf gestellte große B im mit ARBEIT MACHT FREI überschriebenen Haupttor des ?Lagers?. Ob Legende oder nicht ? die Nazis haben diesen Handwerksfehler, vielleicht bewusst durch einen polnischen Häftling ausgeführt, nicht bemerkt. Das macht nichts weg, erträglicher oder harmloser, aber es hat zumindest den Anflug eines stillen Lächelns. Dieses verschwindet nicht nur, sondern gefriert für irritierende Momente, wenn man die originalen Zeichnungen eines Insassen betrachtet, die Meier ebenfalls im Piranha zeigt. Es bleibe hier bewusst dahin gestellt, was diese Zeichnungen zeigen. "Geh und sieh." Ebenso wird hier nicht darüber informiert, ob diese Ausstellung eintrittsfrei ist oder nicht. Wer dorthin will, dem ist diese Frage nicht wichtig. Der nationalsozialistisch bereits mit K.L. geprägte Begriff Konzentrationslager erscheint dem Besucher von Auschwitz wie ansatzweise auch dem Betrachter der kleinen Ausstellung im Nachhinein als merkwürdig harmlos. Vielleicht hat man ihn deshalb in den deutschen Sprachraum übernommen, um in der Tradition von Victor Klemperer die Tertia Imperii - die demagogische Sprache des Dritten Reiches - zu entblößen. Denn dies in Oswiecim war keine vordergründige Konzentration, dies war am Konstruktionsbrett bei frisch dampfendem Kaffee entworfener Massenmord. Und es war kein Lager dort. Denn das ?Lagerfeuer? wurde mit toten Menschen beheizt. Es war noch nicht einmal die Hölle selbst. Denn dorthin kommen gewöhnlich gewisse Menschen, die bereits tot sind. In Auschwitz aber wurde nicht mehr aus dem gewöhnlichen Leben heraus, sondern in einem anderen Zustand als im Leben gemordet. Hörst du das Rattern der Schienenbrüche, die dorthin führten? Was dies in Auschwitz und Treblinka und Sobibor und Majdanek u.a. war, entzieht sich unserer Kenntnis. Es hatte nichts, rein gar nichts mit der Genesis, mit dem homo sapiens zu tun.